Auskunftsansprüche im Zeitalter der Transformation und Rekommunalisierung von Gasverteilnetzen

Berlin, 16.04.2024

Wie in unserem Legal Update zum Umweltinformationsrecht vom 07.08.2023 angekündigt, wenden wir uns in diesem Beitrag einem Informationsanspruch zu, der in jüngster Zeit erheblich an praktischer Relevanz gewonnen hat: der Auskunftsanspruch im Rahmen des Konzessionierungsverfahrens gem. § 46a EnWG. Anders als Ansprüche aus den Informationsgesetzen steht er nicht Privaten gegenüber dem Staat zu, sondern umgekehrt der Gemeinde gegenüber dem bisherigen Energieversorgungsunternehmen. Seine Existenz verdankt er dem deutschen Versorgungsnetzdesign, und er sichert nichts geringeres als den fairen Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt.

Ausgangslage

Seit Jahren laufen in zahlreichen deutschen Gemeinden die Konzessionsverträge aus. Wurde in dieser Situation früher einfach der nächste solche Vertrag abgeschlossen, haben sich die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Zuge von Energiewende und -krise so grundlegend geändert, dass die Beteiligten nun am Scheideweg stehen.

Das trifft insbesondere auf die Erdgasnetze zu. Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu sein – und damit ist Erdgas nicht kompatibel. Angesichts dieses Zieljahres und dem daraus folgenden Enddatum stellt sich die Frage, ob und zu welchen Konditionen ein letzter entsprechender Konzessionsvertrag abgeschlossen werden soll.

Zunächst zum Begriff: Der Konzessionsvertrag ist eine Vereinbarung zwischen der Gemeinde und einem Energieversorgungsunternehmen über die Nutzung öffentlicher Flächen und Wege zum Zweck der Energieversorgung. Läuft ein solcher Vertrag aus, ändert sich an der Versorgung erst einmal wenig: Das bisherige Energieversorgungsunternehmen muss der Gemeinde grundsätzlich weiterhin die Konzessionsabgaben zahlen (vgl. § 48 Abs. 4 EnWG), und kann das Netz auch weiterhin nutzen. Dieser vertragslose Zustand kann insbesondere eintreten, wenn beide Seiten über die Rechtmäßigkeit des neuen Konzessionsvertrages streiten. Er wird beendet durch die Übertragung des Netzes auf das neue Energieversorgungsunternehmen.

An dieser Stelle setzt der Auskunftsanspruch der Gemeinde gem. § 46a EnWG an. Er wurde Anfang 2017 ins Gesetz aufgenommen, war aber als Nebenpflicht zum Konzessionsvertrag bereits zuvor in Judikaten anerkannt worden. Um seine Existenz sowie seine Ausformung rechtssicher zu gestalten, wurde er durch ein eigenes (wenn auch überschaubares) Änderungsgesetz ausdrücklich verankert.

Zweck

Der Auskunftsanspruch soll es der Gemeinde und den Bewerbern ermöglichen, bei Abschluss des Konzessionsvertrages eine informierte Entscheidung zu treffen.

Da die Netze auf Grundlage des Konzessionsvertrages seit Jahrzehnten durch das bisherige Versorgungsunter-nehmen betrieben wurden, hat die Gemeinde diese Informationen nicht gänzlich zur Verfügung – obwohl sich die Netze auf gemeindlichen Flächen befinden.

Trotz dieses Wissensmangels muss die Gemeinde die zukünftige Versorgung sicherstellen – entweder, indem sie mit einem Unternehmen einen neuen Konzessions-vertrag abschließt oder, indem sie die Versorgung eigenständig übernimmt. Für erstere Variante ist ein aufwändiges und langwieriges diskriminierungsfreies Ausschreibungsverfahren mit Bietern durchzuführen. Um hier sachgemäß verhandeln zu können, benötigt die Gemeinde die in Rede stehenden Informationen. Außerdem ist sie verpflichtet, den Bewerbern die netzbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen. Deshalb besteht der Anspruch auch für den Fall, dass der bisherige Versorger auch weiterhin die Netze betreibt – zumal das Ergebnis der Ausschreibung nicht von vornherein absehbar ist. Die sich bewerbenden Unternehmen wiederum müssen vor Abgabe ihres Gebotes kalkulieren.

Aber auch die zweite Variante wird in den letzten Jahren wieder populärer, wie etwa die Rekommunalisierung der Energienetze in Hamburg zeigt. Kommunen erhoffen sich daraus insbesondere stabilere Energiepreise und – mit Blick auf die Wärmewende – eine Wärmeplanung „aus einer Hand“.

Gleich welche Option gewählt wird: Um diesen langfristigen Prozess rechtzeitig bewältigen zu können, besteht der gemeindliche Auskunftsanspruch bereits drei Jahre vor Auslaufen des Konzessionsvertrages. Theoretisch auch früher („spätestens“), da er zeitlich an der Bekanntmachung der Gemeinde über das Auslaufen des Vertrages ansetzt. Aufgrund der Formulierung der Norm begrenzten Möglichkeit der Antizipation dieser Bekanntmachung bleibt es aber in der Regel bei höchstens drei Jahren.

Beteiligte

Auskunftsberechtigt ist die Gemeinde gegenüber dem bisherigen Energieversorgungs-unternehmen. Insbesondere angesichts der Option der Rekommunalisierung erscheint es zweckmäßig, der Gemeinde den Anspruch zuzusprechen, statt dem zukünftigen Energieversorgungsunternehmen. Dieses wird die Informationen ohne-hin bereits im Laufe des Konzessionierungsverfahrens von der Gemeinde mitgeteilt bekommen. Zur Weitergabe besteht zwar keine Pflicht der Gemeinde, aber eine Obliegenheit. Bevor die Gemeinde die Daten weitergibt, soll sie diese darauf prüfen, ob sie verwertbar und vollständig sind.

Ob das bisherige Energieversorgungs-unternehmen Eigentümer der Netze ist, ist insofern irrelevant. Auch wenn es die Netze lediglich von einem Dritten pachtet, ist es als Nutzungsberechtigter Anspruchsgegner.

Inhalt

Der Anspruch ist gerichtet auf technische und wirtschaftliche Informationen des Netzes, die erforderlich sind, um das Netz bewerten zu können. Dies sind insbesondere solche, die die erzielbaren Einnahmen, den Kaufpreis sowie die Netzübernahmekosten abschätzen lassen.

Was die wirtschaftlichen Informationen umfassen, wird vom Gesetz beispielhaft, aber nicht abschließend aufgezählt: die ursprünglichen Anschaffungs- und Herstellungskosten des Verteilungsnetzes, das Jahr seiner Aktivierung, seine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer und die sich daraus ergebenden Restwerte.

Darüber hinausgehend und deutlich konkreter sind die Beispiele aus dem Gemeinsamen Leitfaden des Bundeskartellamtes und der Bundesnetzagentur. Darin sind auch Beispiele zu technischen Informationen enthalten, die im Gesetz nicht weiter konkretisiert werden. Der Leitfaden ist als bloße Orientierungshilfe nicht bindend.

Beide Bundesbehörden können den Energieversorgungsunternehmen gem. § 46a Satz 3 EnWG schließlich auch konkrete und bindende Festlegungen zu Umfang und Format der Auskunft machen. Von dieser Befugnis wurde jedoch noch nicht Gebrauch gemacht.

Grenzen

Anders als im IFG, UIG und in den jeweiligen landesrechtlichen Normen sind für den Auskunftsanspruch gem. § 46a EnWG keine Ablehnungsgründe normiert. Auch wenn es sich bei den mitzuteilenden Informationen nicht selten um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Versorgungsunternehmens handeln dürfte, hindert dies nicht den Anspruch. Das sich aus dem Zweck ergebende öffentliche Interesse überwiegt, denn ohne die Daten ließe sich das Konzessionierungsverfahren nicht durchführen. Ein gewisses Maß an Geheimhaltung kann durch die Weitergabe der Informationen lediglich an die Bieter (und nicht etwa an die Öffentlichkeit) gewahrt und vereinbart werden. Dass gerade diese nicht selten die Konkurrenten des Informationsinhabers sind, ist beachtlich, bleibt aber folgenlos.

Weitere Auskunftsansprüche

In der Konstellation des auslaufenden Konzessionsvertrages kann es noch weitere Auskunftsansprüche neben dem des § 46a EnWG geben.

So vereinbaren die Vertragsparteien oft auch selbstständig einen Auskunftsanspruch im Vertrag. Dieser kann in seiner Reichweite über § 46a EnWG hinausgehen. Insbesondere für den Fall, dass Versorgungsunternehmen und Netzeigentümer nicht personenidentisch sind (also ein Pachtmodell vorliegt), sollte ein solcher zusätzlicher Auskunftsanspruch vertraglich vereinbart werden.

Zudem erhält auch das neue Versorgungsunternehmen einen (direkten) Anspruch gegen den bisher Nutzungsberechtigten, sobald dieser den neuen Konzessionsvertrag mit der Gemeinde abgeschlossen hat. Dieser Anspruch ergibt sich als Nebenpflicht aus dem zwischen beiden entstehendem Schuldverhältnis, vgl. § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG.

Praxis

In der Praxis bildet der Auskunftsanspruch nach § 46a EnWG einen wichtigen Baustein für das weitere Vorgehen mit Blick auf das Auslaufen eines bestehenden Konzessionsvertrags. Dabei kann die Aufforderung zur Herausgabe der betreffenden Informationen regelmäßig mit Hilfe 4 entsprechender Klarstellungen im Leitfaden des Bundeskartellamts konkretisiert werden. Auch ist an dieser Stelle anzumerken, dass der Auskunftsanspruch bzw. die insoweit bereitzustellenden Informationen nicht nur im Fall einer Neuausschreibung, sondern bereits im Vorfeld von Bedeutung sind: Denn üblicherweise wird in der Vorbereitungsphase durch die betreffende Kommune zu überlegen sein, welche Strukturierungsvariante, etwa die Rekommunalisierung, gewählt wird. Auch für diese Entscheidung spielen die mit einem Auskunftsanspruch nach § 46a EnWG herauszugebenden Daten eine wichtige Rolle.

Ausblick

Der § 46a EnWG stellt ein kleines, aber bedeutendes Element im Themenkreis der Konzessionsverträge dar. Nachdem um die Jahrtausendwende eine Privatisierungswelle durchs Land ging, setzen zahlreiche Gemeinde- und Stadträte die Rekommunalisierung der Versorgungsnetze nun wieder auf die Tagesordnung. Auch angesichts der nun anlaufenden kommunalen Wärmeplanung kann dies durchaus Sinn ergeben. Der enorme finanzielle Aufwand und das Interesse an möglichst niedrigen Verbraucherpreisen bedeutet jedoch eine schleppende Amortisierung. Der kommunale Haushalt wird oft auf Jahrzehnte belastet. So hat etwa der Berliner Senat die Rekommunalisierung der lokalen Wärmenetze beschlossen. Es bestehen aber Zweifel an der Finanzierbarkeit und Rentabilität des Vorhabens.

In diesen Kontext fällt schließlich auch die kürzlich ergangene Entscheidung des BGH zum Fernwärmenetz Stuttgart (Urt. v. 05.12.2023, KZR 101/20). Darin ordnete das Gericht die gegenseitigen Ansprüche von Gemeinde und Versorgungsunternehmen, und liberalisierte im Ergebnis den Versorgungsmarkt. Angesichts des beschriebenen Wandels eine folgenreiche Weichenstellung. Auch deshalb wird in Zukunft § 46a EnWG nur noch weiter an Relevanz gewinnen.

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